15 März, 2017

Glück leuchtet

Ein glücklicher Tag ist der Tag nach der Erschöpfung, alle Glieder schmerzen bei Bewegung, und erinnern dich: du lebst. 

Die Luft ist klar und kühl, man sieht ganz weit, hört das Gras flüstern, die Gedanken reisen. Überhaupt heißt das für mich Glück: Pläne schmieden, die möglich werden könnten, Ideen wie Kometen, mit einem Schweif der Machbarkeit. 

Glück, das ist zielloses Streunen, den Wind im Rücken. Ein endloses Wannenbad, so heiß, dass man vergeht. Das Raunen der Stimmen. Jemandem etwas erzählen, jemandem, den man liebt. Etwas erzählt bekommen, am besten ein Märchen von meinem Vater (oder von meinem Onkel hören, wie Prinz Eisenherz als einziger aus dem sinkenden Atlantis entkam). 

Glück ist ein Kuss. 

Ich will Hände sehen, die wissen, was sie tun. Meine Mutter und mein Vater, bei der Teamarbeit „Schwarzwälderkirschtorte”. Sie ist für Geschmack und Architektur, er für die Dekoration zuständig. Mit einem Messer schnitzt er Schokoladensplitter auf den weißen Schnee der Sahne. 

Glück, das ist Musik hören, die für einen Augenblick Sprache ist, die man schon immer konnte, aber heute zum ersten Mal gebraucht. Glück ist Mies van der Rohe, sein Sinn für Proportion, der mich körperlich überwältigt. Oder Francois Cuvilliés, und seine Fassadenschöpfung für St. Kajetan, die Theatinerkirche: ein Strömen der Form, wie man es sonst nur in Rom findet. 

Glück ist Konzentration, ganz bei sich sein, und zugleich außer sich, in der Arbeit. Eine Szene gelingt und es ist wie ein Wunder. Man flösst und flüstert einer Schauspielerin eine Idee ein, und sie macht sie zu ihrer. 

Glück, das ist ein Film, der mich erhellt. Ein Film von Ernst Lubitsch zum Beispiel: TROUBLE IN PARADISE. SHARASÔJU von Naomi Kawase. SUD PRALAD von Apichatpong Weerasethakul. Die Begegnung in der Kneipe in Angela Schanelecs MARSEILLE

Der Geruch einer Orange an den Händen, die man vor Stunden geschält hat. 

Ihr Lächeln. Ihre Stimme. Sie singt ein Lied für mich, aus ihrer Heimat, ihre Hand in meiner...


(2006 bin ich gebeten worden, einen „glücklichen Tag” zu beschreiben, für die Süddeutsche Zeitung)

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