28 März, 2017

Die Letzten


Miron Zownir, Berlin 1980.

Das Prinzip der Steigerung ist ein mühsames Geschäft – zumal wenn es um Dramaturgie geht. Blickt man auf die populärsten Hollywoodfilme der letzten Jahre, kann man grob vier Strategien ausmachen: 
1) „Super”, d.h. Helden oder Feinde zu behaupten, die paranormale Fähigkeiten haben (MATRIX, SPIDERMAN, X-MEN, TWILIGHT) und so die Handlungsmöglichkeiten beliebig erweitern. 
2) „Desaster”, d.h. einen grundsätzlich denkbaren Ausnahmezustand (ARMAGEDDON, THE DAY AFTER TOMORROW, 2012) zu benutzen, um die übliche Ereignisökonomie außer Kraft zu setzen. 
3) „Mindfuck”, d.h. mit Strukturspielen (PULP FICTION, FIGHT CLUB, INCEPTION) mehr Ereignisse in einen Bogen zu zwingen, als logischer Weise möglich wären. 
4) „Torture Porn”, d.h. Darstellung und Plotfunktion der Gewalt ins Extrem zu treiben (SAW, HOSTEL etc). 
Alle vier Wege sind inzwischen so oft beschritten worden, dass sich die Rauschwirkung schon wieder zu verflüchtigen droht. Was tun? Man kann sich an einer Fusion versuchen, zusätzlich ältere Rezepte der Steigerung miteinbringen (Serienkiller, Kriegsfilm), zum Beispiel einen mehr oder weniger fragmentierten Alien-Invasion-Horror-Kriegsfilm machen (CLOVERFIELD, BATTLE: LA, SUPER 8) usw. 
So oder so, im Bemühen, möglichst schnell die maximale dramatische Betriebstemperatur zu erreichen, hat sich eine Art Weltuntergangs-Standard herausgebildet. Aber weil jede Filmerzählung neben ihren Produktfunktionen, denen die Steigerungsdramaturgie natürlich huldigt, auch so etwas wie Sinnproduktion betreiben muss, um auf echte Resonanz zu stossen (auf die auch die großen Hollywood-Maschinen nicht verzichten können) – fragt man sich, wie es passieren konnte, dass das Apokalyptische zum Lieblings-Setting des Mainstreamkinos geworden ist.
Passt das noch zu der Idee, die Kulturindustrie würde „Flucht” verkaufen („nicht die Flucht vor der schlechten Realität, sondern vor dem letzten Gedanken an den Widerstand” – Horkheimer & Adorno 1988, S.153)?

Meine Vermutung ist, dass wir uns berauschen an der Vorstellung, die Letzten zu sein (SILENT HILL, I AM LEGEND, THE ROAD, THE BOOK OF ELI) – ähnlich vielleicht, wie es die Adventisten getan haben, die Jesu Wiederkehr dreimal vergeblich errechnet hatten, bevor sie sich auf ein „bald” verständigt haben. Der narzisstische Kick läge demnach darin, nicht mehr Teil des ewigen Werdens und Vergehens zu sein, sondern tatsächlich einem signifikanten Punkt der Geschichte – nämlich ihrem Ende – beizuwohnen. Diese süße Endlichkeit, den Tod der Tode, zu feiern und zugleich wider alle Wahrscheinlichkeit, deus ex machina, an der finalen Rettung festzuhalten – das ist der Widerspruch, der das Kino der Apokalypse so attraktiv macht.
Was daran seltsam berührt ist die gelegentlich unheimliche Doppelung der Katastrophen-Fiktionen mit den wirklichen Krisen unserer Zeit. Warner Bros., so war heute zu lesen, hat Clint Eastwoods HEREAFTER aus den japanischen Kinos genommen, weil der fiktive Tsunami angesichts des realen frivol wirken musste. Die „Übertreibung” in der Wirklichkeit kränkt die Erfindung, die ihre Masslosigkeit („noch schlimmer als die Wirklichkeit”) als Trost verkauft…
(Geschrieben am 16.03.2011 für das Revolver Blog)

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen