29 November, 2011

Übersetzungsfragen

Im Bonus-Material von Claude Chabrols MADAME BOVARY (F 1991), einem Film, den Isabelle Huppert zum Ereignis macht (aber auch Jean-François Balmer als Charles Bovary ist großartig) spricht der Regisseur über seine Vorstellungen einer „treuen” Literaturverfilmung. Nicht nur habe er dem großen Text nichts hinzufügen wollen, er habe auch versucht, filmische Entsprechungen für Flauberts Satzbau zu finden. Eine Passage, die Flaubert in schnellen, hastigen Sätzen geschrieben habe, sei deshalb in kurzen Einstellungen, eine andere, in getragenem Tonfall geschriebene, in ungeschnittenen Plansequenzen umgesetzt worden. Dieses Konzept, das ich über die von Chabrol gegebenen Beispiele hinaus nicht überprüft habe - schon weil ich das Buch nur auf deutsch besitze - scheint mir so naiv wie faszinierend (auch wenn Chabrol natürlich alles andere als naiv war). Naiv, weil der Bau eines Satzes keine „filmsprachliche” Entsprechung haben kann, direkte Analogien geradezu ins Absurde führen müssen. Faszinierend, weil die Sprache Flauberts damit wie ein Code in den Film eingeschrieben ist, ohne Hoffnung auf Entschlüsselung, aber eben doch sichtbar. Hyroglyphisches Kino?

Die Bovarys: Isabelle Huppert und (links hinter ihr) Jean-François Balmer.

P.S.: Im beigefügten Interview mit Isabelle Huppert sagt ihr Gesprächspartner schmeichlerisch: jeder, der Flauberts Buch heute lese, müsse nun unweigerlich ihr Gesicht vor Augen haben. Darauf sagt Huppert sehr knapp: „Ich hoffe es!”

28 November, 2011

Besser als Kino?

Unter diesem Titel findet am 9.12. im Museum Ludwig in Köln ein Symposion statt - veranstaltet vom Filmbüro NW - das den „Erfolg epischer Erzählformen in modernen Fernsehserien” untersuchen möchte und nach den „Chancen und Herausforderungen für deutsche Filmemacher” fragt. Ich werde auch daran teilnehmen und über unsere Erfahrungen mit DREILEBEN berichten. Das Programm findet sich hier.



Stefan Kurt als Frank Molesch in EINE MINUTE DUNKEL, meinem DREILEBEN-Film.

Coffret



La vie est belle films, ein französischer DVD-Vertrieb, der u.a. MILCHWALD und FALSCHER BEKENNER in Frankreich auf DVD herausgebracht hat (und an Angela Schanelecs ORLY als Co-Produzent beteiligt war), hat seine deutschen Katalogtitel zu einem „Coffret La Nouvelle Vague Allemande” zusammengefasst, der ab sofort in limitierter Auflage erhältlich ist. Ich fühle mich wohl in der Gesellschaft dieser Filme, auch wenn diese Kollektion wie so viele andere weniger einer inhaltlichen als einer Rechte-Logik folgt. Filmgeschichte ist eben immer auch eine Geschichte der Verfügbarkeit...


23 November, 2011

M O S

Wenn ich versuche zu beschreiben, WAS ich höre - gemeint ist der Klang meines Alltags - komme ich nicht umhin, vom WIE zu sprechen. Wie also höre ich? Zuallererst: dynamisch. Abhängig von Erwartung, Dauer, Training, Stimmung, Gesundheit verändern sich die akustischen Eindrücke ständig. Ja, es gibt Konstanten, sonst könnte es kein Wiedererkennen geben - aber nichts ist absolut; unser Hörsinn produziert eine zutiefst subjektive Mischung, und die Fähigkeit, bestimmte Ereignisse auszublenden ist hoch entwickelt. Eine Tonaufnahme unterscheidet sich also notwendig von unserer Hörerfahrung. Auch wenn die Aufnahme perspektivisch und in der Charakteristik des Mikrofons differenziert wird, bleibt sie in sich selbst statisch. Erst auf der Ebene der Tonmischung kann eine Annäherung an die subjektive Wahrnehmung vorgenommen werden, etwa, indem Geräusche über- oder untertrieben werden. Ironischerweise sind es gerade die Filmemacher, die sich als „realistisch” verstehen, die im technischen Direktton, von keiner nachträglichen Subjektivierung „verfälscht”, einen Garanten „realistischer Wiedergabe” sehen. Realismus-Geschichte ist immer auch Technik-Geschichte. Die Handkamera, unserem natürlichen Sehen bestimmt nicht näher verwandt als eine Dollyfahrt, gilt als Ausweis größter Lebensnähe nur, weil die Erfindung tragbarer Kameras ihre journalistische Verwendung erlaubt hat. Und als es endlich möglich war, auch draussen brauchbaren Direktton einzufangen, Dialoge auf der Straße aufzunehmen, setzte sich bald die Ansicht durch, dass es „unnatürlich” sei, Ton- und Bild zu trennen, dass das Spiel im Studio an Wahrheit verliere, dass die Stimme dem Schauspieler und der Situation nicht geraubt werden dürfe.
Diese Argumente sind sympathisch, aber nicht unbedingt stichhaltig. In manchen Fällen mag die neue Technik tatsächlich zu Frische und produktiver Unreinheit geführt haben - „natürlicher” oder eben „realistischer” macht es die Sache aber nicht.
Ich komme darauf, weil ich darüber nachdenke, zur italienischen Methode „zurück” zu gehen, also die Ebene von Dialog und Geräusch komplett in die Postproduktion zu verlagern. Weil diese Arbeitsweise hierzulande in Vergessenheit geraten ist, will ich kurz die Vorzüge aufzählen:
Man kann Schauspieler jeder Sprache besetzen,
an lauten Orten intime Dialogszenen drehen,
man kann direkter interagieren mit den Darstellern,
in die Szene sprechen,
man kann den Text nachträglich verändern,
die Stimmen austauschen,
mit Musik drehen
...
Burt Lancaster in der Rolle seines Lebens: IL GATTOPARDO (Luchino Visconti, I 1962).

Aber hat das wirklich schon einmal funktioniert? Und wie!
Burt Lancaster spielt die Rolle seines Lebens in Viscontis IL GATTOPARDO, für mich eine der großen Schauspielleistungen des Kinos überhaupt - ganz ohne seine eigene Stimme. Und das ist beileibe nicht das einzige Beispiel: Anthony Quinn in LA STRADA, Broderick Crawford in IL BIDONE, Farley Granger in SENSO, Alain Delon in L'ECLISSE, Donald Sutherland in CASANOVA, Ingrid Thulin in LA GUERRE EST FINIE, Eddie Constantine in WARNUNG VOR EINER HEILIGEN NUTTE fallen mir auf die Schnelle ein. In István Szabós OBERST REDL, einem Film, den ich sehr liebe (und in dem die ungarischen Schauspieler deutsch synchronisiert sind) sprechen alle ganz „unrealistisch” nah am Mikrophon, was einen verführerischen Intimitätseffekt hat. In František Vláčils großem MARKETA LAZAROVÁ wird der Dialog oft gegen die Situation (und selten lippensynchron) geflüstert, mit berauschender Wirkung. Fellini liess seine Darsteller mitunter Zahlen aufsagen, was ihm erlaubte, wie ein Dirigent bei der Probe in die Aufnahme hineinzusprechen, Geschwindigkeit, Bewegungen im Fluss anzusagen, die Bewegung live zu modellieren, ohne sich auf den Dialog festzulegen. Seine Raumregie ist unübertroffen. Leone drehte mit Musik, um den Rhythmus einer Szene zu beeinflussen und wirklich sind seine Filme sehr musikalisch. (Coppola gibt im Regiekommentar zu THE GODFATHER den Tipp, „leere” Telefonate zu filmen, um im Schnitt die Möglichkeit zu haben, Storylöcher zu stopfen.) Es spricht also einiges für die Synchronisierung. Aber ja, ein paar Argumente stehen auch dagegen. Die Spannung, das Timbre, die Modulation einer Stimme, die in der Situation aufgenommen wurde, wird sich immer unterscheiden von der später, im Studio, unter abstrakteren Bedingungen entstandenen Synchronfassung. Es kann also nur um eine Neuinterpretation gehen, nicht um Rekonstruktion. Bestimmte Spontanitäten gehen dabei womöglich verloren. Eine gute Synchronisierung bedeutet einen hohen Zeitaufwand und damit zusätzliche Kosten. Auch der Schnitt verzögert sich, weil man viele Szenen ohne brauchbaren Ton nicht gültig beurteilen kann. Und schliesslich sollte man vielleicht noch das böse Wort „Europudding” erwähnen, als Synonym einer Produktionsweise, die kulturelle Spezifika zugunsten eines fragwürdigen Starsystems aufgegeben hat.
(wird fortgesetzt)

21 November, 2011

Ästhetik des Widerstands?




Auf „halbnah”, einem neuen Blog, gibt es einen interessanten Text über das fehlende Rückrat des deutschen Films und seiner Akteure. Aufhänger ist Thomas Braschs widerständige Münchner Dankesrede von 1981, die ich hier dokumentiert habe. Blog und Text sind bisher anonym, was ich angesichts des Themas unzulässig finde. Trotzdem hier der Versuch einer Antwort.

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Ich habe gestaunt, als ich Thomas Braschs Rede zum ersten Mal sah, war ganz aufgekratzt und auch neidisch auf die damalige Beschaffenheit von Öffentlichkeit, die solche Polaritäten ausgehalten und herausgefordert hat.

Die Gründe für das, was du an unserer Generation „unpolitisch” nennst, haben, glaube ich, sehr viel mit dem Vorgängermodell des Politischen zu tun: klare Polaritäten, eine theoretische Basis der Linken (Marxismus und seine Schwundformen), die zwar nicht gerade Einigkeit, aber zumindest ein gemeinsames Vokabular produziert hat, eine Vorstellung von Zukunft, einen gemeinsamen Glauben.

Diese Sprache, die Beschreibungen und Modelle einer verwehten Gegenwart, auch die utopistischen Entwürfe haben an Glaubwürdigkeit verloren nicht zuletzt wegen der tödlichen Lügen des gelebten Sozialismus, die zu lange verteidigt wurden. Der Links-Terrorismus, der sich eine Weile eindrucksvoll als politische Avantgarde inszenieren konnte, hat die Ideen weiter beschädigt. Und dann kam mit dem Ende des Ostblocks das so unangebrachte wie haltlose Siegesgeheul der Marktliberalen (das Echo ist unsere Krise heute)...

Ich breche hier Zeitgeschichte übers Knie, um einen Punkt zu machen: Die Folge der „Glaubwürdigkeitskrise” politischer Begriffe war eine stärkere Fragmentierung der Gesellschaft, in der „alles”, jedes Weltmodell, erlaubt, aber die Gemeinsamkeit, die gemeinsame Sprache auch, verschwunden ist. Um so wichtiger erscheint der kleinste gemeinsame Nenner: das „Funktionieren”, das „Publikum”, die „Quote” ... diffuse (Ersatz-) Ideologeme, die kein theoretisch-sprachliches Bewusstsein mehr haben (sollen). Im Gegenteil tut man so, als lebten wir in einer „ideologie-freien Zeit”. Ein vielsagender Irrtum.

Dein Negativ-Beispiel DEUTSCHLAND 09, an dem ich beteiligt war, hat mir vor allem eines gezeigt: trotz ehrlicher Sympathien gibt es zwischen den beteiligten Filmemachern nicht im Ansatz ein gemeinsames Vokabular, ein gemeinsames Bewusstsein für die Gegenwart, für die Probleme unserer Zeit. Kein WIR. Das Ergebnis (das ich bestimmt nicht „politisch” nennen würde) war nicht Ausdruck eines Kollektivs, eher ein Kaleidoskop mehr oder weniger friedlicher ästhetischer Ko-Existenz. Ich finde einige der Filme sehenswert, viel zu tun miteinander haben sie nicht.

Das alles kann man bedauern, aber nicht ohne Weiteres ändern, fürchte ich. Stell dich auf die Straße, beweise deinen Widerstand. Besetze den Vorplatz der Europäischen Zentralbank (oder der Deutschen Filmakademie). Der „Feind” wird das vielleicht unsympathisch finden, aber er wird sich nicht gemeint fühlen. Schlimmer noch: er wird nichts unternehmen. Was ich damit sagen will: zum Kampf gehören zwei. Wenn man also Brasch vermisst, vermisst man womöglich auch FJS.

Natürlich fehlt dem deutschen Film Auseinandersetzung. Es wird viel gelästert, aber direkte Konfrontationen gibt es kaum. Die Fördergiesskanne, die sich immer in zwei Richtungen abzusichern versucht (filmwirtschaftlich UND filmkulturell) begünstigt die Stromlinie, sowohl im persönlichen Verhalten als auch im „Produkt”. Wer arbeiten will, hält den Mund.

Meine Erfahrung mit öffentlicher Kritik aber ist, dass man sich zwar durchaus selbst schaden kann - dafür gibt es eine Reihe von Beispielen - eine Debatte aber löst man deshalb noch lange nicht aus. Akte des „Widerstands” stehen heute schnell im Narzissmus-Verdacht. Stefan Arndt etwa hat unsere Kritik an der Privatisierung des Filmpreises damals so interpretiert. Er war der festen Überzeugung, dass hinter unser Ablehnung des Oscar-Modells der Wunsch nach Profilierung stand. Für die aus seiner Sicht gelungene Steigerung der Bekanntheit unserer Namen hatte er Respekt, das fand er „clever”, die Kritik selbst konnte er dagegen nicht ernst nehmen, denn das hätte für ihn geheissen, an der Reklame der Anderen mitzuwirken.

Bleibt die Hoffnung auf das Widerständige in der Form. Oder ist das automatisch der „Rückzug in die privatisierende Kunstproduktion”? Ich denke, nein. Aber in unserer Wirklichkeit, dessen bin ich mir bewusst, ist dieses „Nein” schwer zu fassen. Brüchig. Bedroht. Über dieses Nein müssen wir streiten. Das wäre ein Anfang.

Gut möglich, dass die Krise Europas, die übrigens ja auch eine kulturelle Krise ist, die Verteilungskämpfe hierzulande bald verschärft. (Re-) politisierung braucht immer jenes Quentchen „höhere Gewalt”, das die bestimmenden Gewohnheiten aufbrechen lässt. An der Sprache für dieses Morgen sollten wir heute feilen. Im Film wie im Leben.

Christoph

19 November, 2011

Gewonnen.



Gute Nachrichten: Nicolette Krebitz und ich sind gestern im saarländischen Neunkirchen mit dem 1. Günter-Rohrbach-Filmpreis ausgezeichnet worden - für UNTER DIR DIE STADT (Beste schauspielerische Leistung / Bester Film). Die schöne Doppel-Laudatio hielt Dominik Graf.

15 November, 2011

Geld und Kino

Im Schüren-Verlag ist ein Band zum Thema „Geld und Kino” erschienen, sozusagen die Papierversion der 37. Arnoldshainer Filmgespräche. Neben Texten von Ekkehard Knörer, Volker Pantenburg, Daniel Eschkötter, Winfried Pauleit u.a. findet sich auch ein lesenswerter Aufsatz von Cristina Nord zu UNTER DIR DIE STADT, den sie mit gemischten Gefühlen, aber gut informiert beschreibt.

Inhaltsverzeichnis und Vorwort (von den Herausgebern Margit Frölich und Rembert Hüser) kann man hier einsehen.

06 November, 2011

ADK

Am Samstag, den 19.11.2011 zeigt die Akademie der Künste (Hanseatenweg) unser DREILEBEN-Projekt noch einmal auf großer Leinwand, um 15 h ETWAS BESSERES ALS DEN TOD (Christian Petzold), um 17 h KOMM MIR NICHT NACH (Dominik Graf) und um 20 h meinen Film EINE MINUTE DUNKEL. Zwischen Film 2 und 3, um 19 h, gibt es ein Gespräch mit Christian Petzold und mir, das Knut Elstermann moderieren wird.



Meine Skizze, entstanden vor Festlegung auf einen konkreten Drehort, zur gemeinsamen Verständigung über die Eigenschaften des fiktiven Städtchens „Dreileben”.

03 November, 2011

La révolution numérique est terminée



Gestern ist die November-Ausgabe der Cahiers du Cinéma erschienen, die sich unter der Überschrift „Adieu 35” mit der Vollendung der digitalen Revolution beschäftigt. Ich habe auch einen Text beigesteuert, der aus den Posts Permanent Experiment und Vorschlag hervorgegangen ist (für Leser dieses Blogs also wenig Neues bietet) und über die Verflüssigung der Produktionsphasen nachdenkt.