28 Dezember, 2011

Überblendung (4)





In Sam Peckinpahs THE GETAWAY (USA 1972) gibt es ziemlich am Anfang, gleich nachdem Doc McCoy (Steve McQueen) aus dem Gefängnis kommt, eine Reihe irritierend dekorativer Überblendungen wie die hier gezeigte, wo ein einfacher Vorgang („Badefreuden”) in die gespiegelte identische Einstellung überblendet wird. Die ganze Sequenz dreht sich um die Konkurrenz von Vorstellung (McCoys Gefängnis-Welt) und Umsetzung (die wiedergewonnene Freiheit). Robert L. Wolfe, eine Cutter-Legende, unterschneidet die Szene zu Anfang immer wieder mit Bildern aus dem weiteren Verlauf und für eine Weile glaubt man, McCoy würde es bei der Vorstellung belassen, angekleidet ins Wasser zu springen. Doch dann erweisen sich diese Bilder (die teilweise verlangsamt zu sehen waren) als seine Gegenwart, er springt „wirklich”, und Ali MacGraw mit ihm. Ich mag den Film gerne, dieses Oszillieren zwischen Pose und Härte, und MacGraw und McQueen sind einfach ein perfect match - trotzdem bleibt ein Nachgeschmack des Werblichen im Einsatz der Mittel.

Benedikt Schiefer


Auf der soundcloud von Benedikt Schiefer kann man sich eine kleine Auswahl seiner Filmmusiken anhören, darunter Stücke aus UNTER DIR DIE STADT, FALSCHER BEKENNER und MILCHWALD. Das hier eingebettete Stück ist die Anfangsmusik für UNTER DIR DIE STADT, die mich immer wieder begeistert.

26 Dezember, 2011

talking pictures

Am 9. Januar mache ich ein neues REVOLVER LIVE zum Thema „Sprechen im Spielfilm”. Zu Gast ist die französische Kuratorin, Dozentin und Kritikerin Marie-Pierre Duhamel.



Anhand konkreter Filmbeispiele wollen wir über die Entwicklung des Dialogs in der Filmgeschichte sprechen, mit einem besonderen Augenmerk auf die Rolle des Fremden im Kino, im Sinne einer Figur, der fremden Erfahrung, und als Rahmen des „Eigenen”. Dabei soll es insbesondere auch um verschiedene Realismen im Schreiben von Dialogen gehen - und um die Frage, welcher Grad der Abstraktion im Kino am besten mit unserer Erfahrung im Leben korrespondiert. Ich stelle mir den Abend schlaglichtartig und diskursiv vor; es geht durchaus nicht um Vollständigkeit oder Ausgewogenheit.

Die Diskussion wird auf Englisch stattfinden, auch um den Aufwand der Einmischung seitens des Publikums möglichst gering zu halten. Alle Filminteressierten sind herzlich eingeladen.

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REVOLVER LIVE (26)
'I AM A STRANGER HERE MYSELF' - NOTES ON TALKING PICTURES
MARIE-PIERRE DUHAMEL in discussion with Christoph Hochhäusler
Monday, 9.01.2012, 19.30 h at Roter Salon / Volksbühne.

15 Dezember, 2011

Überblendung (3)















Eine Szene aus THE WRONG MAN (Alfred Hitchcock, USA 1956).

Eine der eigentümlichsten Überblendungen der Filmgeschichte: Manny Balestrero (Henry Fonda), der beschuldigt wird, eine Serie von Raubüberfällen begangen zu haben - und dem es bisher nicht gelungen ist, seine Unschuld zu beweisen - wird von seiner Mutter, als letztem Mittel, zum Beten aufgefordert. Er geht ins Nebenzimmer, zieht sich für den Abend um - die Kamera fährt auf ein Jesus-Bild zu - und er beginnt widerstrebend zu beten. Dann sehen wir Fondas Gesicht, in das langsam der wahre Täter eingeblendet wird, der auf die Kamera zuläuft, bis er Fondas Gesicht ganz ausfüllt. Er begeht einen weiteren Raub, wird gefasst, und Balestreros Unschuld ist bewiesen.

Das Überlagern der zwei Gesichter löst bei mir ganz widersprüchliche Gefühle aus. Das Gebet wirkt nicht „fromm” auf mich, eher wie die unheimliche Beschwörung eines Doppelgängers, die Schuld auf sich zu nehmen - als ein letztes, archaisches Mittel, die eigene Haut zu retten. Fonda beschwört, so scheint es, das Böse (der wahre Täter begeht einen weiteren Überfall), um davon zu kommen.

P.S.:
Eben lese ich bei Rosenbaum: Jean-Luc Godard hätte die „längste Kritik seines Lebens“ diesem Film gewidmet, und die hier gezeigte Überblendung nehme in seinem Text eine Schlüsselrolle ein (ich kenne die Kritik leider nicht - vielleicht kann ein Leser helfen?).

Übrigens habe ich mich hier ausführlicher mit einer anderen Szene von THE WRONG MAN beschäftigt.

14 Dezember, 2011

Überblendung (2)






In Francis Ford Coppolas APOCALYPSE NOW (USA 1979), gibt es eine Overtüre, in der sich Zukunft, Vergangenheit und Gegenwart vermischen. Wir können nicht sicher sein, ob sich der Held (Martin Sheen) erinnert, ob er von der Zukunft träumt oder ob alles Folgende vielleicht nur eine Fieberfantasie ist. Mit Hilfe einer Serie von Überblendungen verschwimmen aber nicht nur zeitliche, sondern auch räumliche Dimensionen. Cpt. Willard, von Erinnerungen gefesselt, erscheint bald als Gulliver, bald als Zwerg aus Liliput; der Krieg wird zum Dschungel, in dem andere Gesetze gelten.

Interessant finde ich die Gleichzeitigkeit der Eindrücke: wir sehen Willard (verkehrt herum), sehen, was er sieht (den Decken-Ventilator) und darüber, unsteter als diese „realistischen” Bilder, seine Erinnerung an eine Zukunft, der wir im Laufe des Filmes wieder begegnen werden. Die Erzähler-Stimme „normalisiert” diese Eindrücke dann, stellt eine Gegenwart her („waiting for a mission”), deren Widersprüche wir erst, wenn wir die Bilder im Verlauf wiedererkennen, rekonstruieren können. Trotz der Film-Noir-Anleihen wird die Erzählung nicht als Rückblende eingefädelt, der Status der Kriegsbilder bleibt ambivalent, zumal sie perspektivisch nicht Willard gehören. Es ist Coppola, der in der Überblendung „spricht”.

13 Dezember, 2011

11 Dezember, 2011

Überblendung (1)







Schneiden oder Blenden? Das klingt noch heute nach einer moralischen Frage. Der ehrliche „harte” Schnitt gegen die falsche Süße eines „weichen” Übergangs. Aber sind das wirklich Alternativen? Bedeutet eine Überblendung nicht etwas anderes? Ich will mir anhand konkreter Beispiele ansehen, was Blenden „machen”. Dieses Mal: LILITH (Robert Rossen, USA 1964). Ein überragend besetzter (Jean Seberg, Warren Beatty, Peter Fonda, Kim Hunter, Gene Hackman) seltsam unebener Film, der sich in liberalen Klischees des Wahnsinns als Unschuld ergeht, bevor er unverhofft in eine glaubwürdige, tragische Liebesgeschichte mündet.

Die Blende (oder genauer: die Serie von Überblendungen), die ich meine, markiert das „letzte Glück”, die Innigkeit und Hingabe, die dann verloren geht. Das Über- und Ineinander der Bilder - der sonnenfunkelnde Bach und die Liebenden, ihr Gesicht, seine Hände - ist nicht „realistisch” motiviert, auch wenn wir den Bach zuvor gesehen haben. Es geht um eine poetische Übertragung der Ekstase, der Auflösung, die Blende ist eine Metapher etwa in der Art, in der Murnau in SUNRISE Überblendungen verwendet. Das ist gefährliches Terrain, weil das zweite Bild (die Reflexion der Sonne) die Interpretation des Ersten eindeutig macht. Was mir gefällt an diesem Beispiel, auch wenn es nahe am Kitsch ist: dass sich unser Gefühl intensiviert, während wir uns von der Handlung selbst entfernen. Das Bild, das so entsteht, meint nicht (nur) diesen Moment, sondern alle Momente, alle Leben, auch unseres.






06 Dezember, 2011

Humboldt Meetings



Kurzer Hinweis: Am 12.12. werde ich im Rahmen der „Humboldt Meetings” Auskunft über meine Arbeit geben. Ziel ist es, den kreativen Prozess mit einer interessierten Öffentlichkeit zu teilen. Der Eintritt ist frei, jeder ist willkommen.

Die Gesprächsreihe wird organisiert durch Régis Michel, Rudolf Arnheim Gastprofessor 2011/12 und Katharina Lee Chichester. Die nächsten Gäste sind Angela Schanelec (10. Januar 2012), Artur Zmijewski (23. Januar), Anne Tismer (31. Januar), Thomas Ostermeier (7. Februar) und Harun Farocki (21. Februar).

Hillmann & Šalamoun

Ich hatte auf dem Revolver-Blog schon darauf hingewiesen: noch bis 5. Februar ist in der Berliner Kunstbibliothek eine Ausstellung mit Arbeiten von Hans Hillmann und Jiří Šalamoun zu sehen. Heute hatte ich endlich Gelegenheit, sie zu besuchen - und obwohl ich die meisten der ausgestellten Arbeiten von Hillmann und viele von Šalamoun kannte, bin ich ganz begeistert. Zum Einen, weil es eben doch einen Unterschied macht (liebes Internet!) eine Zeichnung im Original zu sehen, auf Papier, einem Medium, das eben nicht nur die Grafik, sondern auch die Arbeitsweise speichert, zum Anderen, weil sich die beiden Meister auf eine glückliche Art ergänzen und in Dialog treten.



Eine Doppelseite aus Hillmanns FLIEGENPAPIER nach Hammett, einer der Höhepunkte der Ausstellung.



Einer der schönen Animationsfilme von Šalamoun, die im Foyer zu sehen sind.

03 Dezember, 2011

Laudatio

Ein Grund, in der Altpapiertonne zu wühlen: am vergangenen Donnerstag (1.12.), ist in der Berliner Zeitung (Kulturkalender, Seite 3) Dominik Grafs schöne Laudatio erschienen - auf Nicolette Krebitz und mich und UNTER DIR DIE STADT, anlässlich der Verleihung des 1. Günter-Rohrbach-Filmpreises. Ich war nicht in Berlin, deshalb der Hinweis erst jetzt.

29 November, 2011

Übersetzungsfragen

Im Bonus-Material von Claude Chabrols MADAME BOVARY (F 1991), einem Film, den Isabelle Huppert zum Ereignis macht (aber auch Jean-François Balmer als Charles Bovary ist großartig) spricht der Regisseur über seine Vorstellungen einer „treuen” Literaturverfilmung. Nicht nur habe er dem großen Text nichts hinzufügen wollen, er habe auch versucht, filmische Entsprechungen für Flauberts Satzbau zu finden. Eine Passage, die Flaubert in schnellen, hastigen Sätzen geschrieben habe, sei deshalb in kurzen Einstellungen, eine andere, in getragenem Tonfall geschriebene, in ungeschnittenen Plansequenzen umgesetzt worden. Dieses Konzept, das ich über die von Chabrol gegebenen Beispiele hinaus nicht überprüft habe - schon weil ich das Buch nur auf deutsch besitze - scheint mir so naiv wie faszinierend (auch wenn Chabrol natürlich alles andere als naiv war). Naiv, weil der Bau eines Satzes keine „filmsprachliche” Entsprechung haben kann, direkte Analogien geradezu ins Absurde führen müssen. Faszinierend, weil die Sprache Flauberts damit wie ein Code in den Film eingeschrieben ist, ohne Hoffnung auf Entschlüsselung, aber eben doch sichtbar. Hyroglyphisches Kino?

Die Bovarys: Isabelle Huppert und (links hinter ihr) Jean-François Balmer.

P.S.: Im beigefügten Interview mit Isabelle Huppert sagt ihr Gesprächspartner schmeichlerisch: jeder, der Flauberts Buch heute lese, müsse nun unweigerlich ihr Gesicht vor Augen haben. Darauf sagt Huppert sehr knapp: „Ich hoffe es!”

28 November, 2011

Besser als Kino?

Unter diesem Titel findet am 9.12. im Museum Ludwig in Köln ein Symposion statt - veranstaltet vom Filmbüro NW - das den „Erfolg epischer Erzählformen in modernen Fernsehserien” untersuchen möchte und nach den „Chancen und Herausforderungen für deutsche Filmemacher” fragt. Ich werde auch daran teilnehmen und über unsere Erfahrungen mit DREILEBEN berichten. Das Programm findet sich hier.



Stefan Kurt als Frank Molesch in EINE MINUTE DUNKEL, meinem DREILEBEN-Film.

Coffret



La vie est belle films, ein französischer DVD-Vertrieb, der u.a. MILCHWALD und FALSCHER BEKENNER in Frankreich auf DVD herausgebracht hat (und an Angela Schanelecs ORLY als Co-Produzent beteiligt war), hat seine deutschen Katalogtitel zu einem „Coffret La Nouvelle Vague Allemande” zusammengefasst, der ab sofort in limitierter Auflage erhältlich ist. Ich fühle mich wohl in der Gesellschaft dieser Filme, auch wenn diese Kollektion wie so viele andere weniger einer inhaltlichen als einer Rechte-Logik folgt. Filmgeschichte ist eben immer auch eine Geschichte der Verfügbarkeit...


23 November, 2011

M O S

Wenn ich versuche zu beschreiben, WAS ich höre - gemeint ist der Klang meines Alltags - komme ich nicht umhin, vom WIE zu sprechen. Wie also höre ich? Zuallererst: dynamisch. Abhängig von Erwartung, Dauer, Training, Stimmung, Gesundheit verändern sich die akustischen Eindrücke ständig. Ja, es gibt Konstanten, sonst könnte es kein Wiedererkennen geben - aber nichts ist absolut; unser Hörsinn produziert eine zutiefst subjektive Mischung, und die Fähigkeit, bestimmte Ereignisse auszublenden ist hoch entwickelt. Eine Tonaufnahme unterscheidet sich also notwendig von unserer Hörerfahrung. Auch wenn die Aufnahme perspektivisch und in der Charakteristik des Mikrofons differenziert wird, bleibt sie in sich selbst statisch. Erst auf der Ebene der Tonmischung kann eine Annäherung an die subjektive Wahrnehmung vorgenommen werden, etwa, indem Geräusche über- oder untertrieben werden. Ironischerweise sind es gerade die Filmemacher, die sich als „realistisch” verstehen, die im technischen Direktton, von keiner nachträglichen Subjektivierung „verfälscht”, einen Garanten „realistischer Wiedergabe” sehen. Realismus-Geschichte ist immer auch Technik-Geschichte. Die Handkamera, unserem natürlichen Sehen bestimmt nicht näher verwandt als eine Dollyfahrt, gilt als Ausweis größter Lebensnähe nur, weil die Erfindung tragbarer Kameras ihre journalistische Verwendung erlaubt hat. Und als es endlich möglich war, auch draussen brauchbaren Direktton einzufangen, Dialoge auf der Straße aufzunehmen, setzte sich bald die Ansicht durch, dass es „unnatürlich” sei, Ton- und Bild zu trennen, dass das Spiel im Studio an Wahrheit verliere, dass die Stimme dem Schauspieler und der Situation nicht geraubt werden dürfe.
Diese Argumente sind sympathisch, aber nicht unbedingt stichhaltig. In manchen Fällen mag die neue Technik tatsächlich zu Frische und produktiver Unreinheit geführt haben - „natürlicher” oder eben „realistischer” macht es die Sache aber nicht.
Ich komme darauf, weil ich darüber nachdenke, zur italienischen Methode „zurück” zu gehen, also die Ebene von Dialog und Geräusch komplett in die Postproduktion zu verlagern. Weil diese Arbeitsweise hierzulande in Vergessenheit geraten ist, will ich kurz die Vorzüge aufzählen:
Man kann Schauspieler jeder Sprache besetzen,
an lauten Orten intime Dialogszenen drehen,
man kann direkter interagieren mit den Darstellern,
in die Szene sprechen,
man kann den Text nachträglich verändern,
die Stimmen austauschen,
mit Musik drehen
...
Burt Lancaster in der Rolle seines Lebens: IL GATTOPARDO (Luchino Visconti, I 1962).

Aber hat das wirklich schon einmal funktioniert? Und wie!
Burt Lancaster spielt die Rolle seines Lebens in Viscontis IL GATTOPARDO, für mich eine der großen Schauspielleistungen des Kinos überhaupt - ganz ohne seine eigene Stimme. Und das ist beileibe nicht das einzige Beispiel: Anthony Quinn in LA STRADA, Broderick Crawford in IL BIDONE, Farley Granger in SENSO, Alain Delon in L'ECLISSE, Donald Sutherland in CASANOVA, Ingrid Thulin in LA GUERRE EST FINIE, Eddie Constantine in WARNUNG VOR EINER HEILIGEN NUTTE fallen mir auf die Schnelle ein. In István Szabós OBERST REDL, einem Film, den ich sehr liebe (und in dem die ungarischen Schauspieler deutsch synchronisiert sind) sprechen alle ganz „unrealistisch” nah am Mikrophon, was einen verführerischen Intimitätseffekt hat. In František Vláčils großem MARKETA LAZAROVÁ wird der Dialog oft gegen die Situation (und selten lippensynchron) geflüstert, mit berauschender Wirkung. Fellini liess seine Darsteller mitunter Zahlen aufsagen, was ihm erlaubte, wie ein Dirigent bei der Probe in die Aufnahme hineinzusprechen, Geschwindigkeit, Bewegungen im Fluss anzusagen, die Bewegung live zu modellieren, ohne sich auf den Dialog festzulegen. Seine Raumregie ist unübertroffen. Leone drehte mit Musik, um den Rhythmus einer Szene zu beeinflussen und wirklich sind seine Filme sehr musikalisch. (Coppola gibt im Regiekommentar zu THE GODFATHER den Tipp, „leere” Telefonate zu filmen, um im Schnitt die Möglichkeit zu haben, Storylöcher zu stopfen.) Es spricht also einiges für die Synchronisierung. Aber ja, ein paar Argumente stehen auch dagegen. Die Spannung, das Timbre, die Modulation einer Stimme, die in der Situation aufgenommen wurde, wird sich immer unterscheiden von der später, im Studio, unter abstrakteren Bedingungen entstandenen Synchronfassung. Es kann also nur um eine Neuinterpretation gehen, nicht um Rekonstruktion. Bestimmte Spontanitäten gehen dabei womöglich verloren. Eine gute Synchronisierung bedeutet einen hohen Zeitaufwand und damit zusätzliche Kosten. Auch der Schnitt verzögert sich, weil man viele Szenen ohne brauchbaren Ton nicht gültig beurteilen kann. Und schliesslich sollte man vielleicht noch das böse Wort „Europudding” erwähnen, als Synonym einer Produktionsweise, die kulturelle Spezifika zugunsten eines fragwürdigen Starsystems aufgegeben hat.
(wird fortgesetzt)

21 November, 2011

Ästhetik des Widerstands?




Auf „halbnah”, einem neuen Blog, gibt es einen interessanten Text über das fehlende Rückrat des deutschen Films und seiner Akteure. Aufhänger ist Thomas Braschs widerständige Münchner Dankesrede von 1981, die ich hier dokumentiert habe. Blog und Text sind bisher anonym, was ich angesichts des Themas unzulässig finde. Trotzdem hier der Versuch einer Antwort.

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Ich habe gestaunt, als ich Thomas Braschs Rede zum ersten Mal sah, war ganz aufgekratzt und auch neidisch auf die damalige Beschaffenheit von Öffentlichkeit, die solche Polaritäten ausgehalten und herausgefordert hat.

Die Gründe für das, was du an unserer Generation „unpolitisch” nennst, haben, glaube ich, sehr viel mit dem Vorgängermodell des Politischen zu tun: klare Polaritäten, eine theoretische Basis der Linken (Marxismus und seine Schwundformen), die zwar nicht gerade Einigkeit, aber zumindest ein gemeinsames Vokabular produziert hat, eine Vorstellung von Zukunft, einen gemeinsamen Glauben.

Diese Sprache, die Beschreibungen und Modelle einer verwehten Gegenwart, auch die utopistischen Entwürfe haben an Glaubwürdigkeit verloren nicht zuletzt wegen der tödlichen Lügen des gelebten Sozialismus, die zu lange verteidigt wurden. Der Links-Terrorismus, der sich eine Weile eindrucksvoll als politische Avantgarde inszenieren konnte, hat die Ideen weiter beschädigt. Und dann kam mit dem Ende des Ostblocks das so unangebrachte wie haltlose Siegesgeheul der Marktliberalen (das Echo ist unsere Krise heute)...

Ich breche hier Zeitgeschichte übers Knie, um einen Punkt zu machen: Die Folge der „Glaubwürdigkeitskrise” politischer Begriffe war eine stärkere Fragmentierung der Gesellschaft, in der „alles”, jedes Weltmodell, erlaubt, aber die Gemeinsamkeit, die gemeinsame Sprache auch, verschwunden ist. Um so wichtiger erscheint der kleinste gemeinsame Nenner: das „Funktionieren”, das „Publikum”, die „Quote” ... diffuse (Ersatz-) Ideologeme, die kein theoretisch-sprachliches Bewusstsein mehr haben (sollen). Im Gegenteil tut man so, als lebten wir in einer „ideologie-freien Zeit”. Ein vielsagender Irrtum.

Dein Negativ-Beispiel DEUTSCHLAND 09, an dem ich beteiligt war, hat mir vor allem eines gezeigt: trotz ehrlicher Sympathien gibt es zwischen den beteiligten Filmemachern nicht im Ansatz ein gemeinsames Vokabular, ein gemeinsames Bewusstsein für die Gegenwart, für die Probleme unserer Zeit. Kein WIR. Das Ergebnis (das ich bestimmt nicht „politisch” nennen würde) war nicht Ausdruck eines Kollektivs, eher ein Kaleidoskop mehr oder weniger friedlicher ästhetischer Ko-Existenz. Ich finde einige der Filme sehenswert, viel zu tun miteinander haben sie nicht.

Das alles kann man bedauern, aber nicht ohne Weiteres ändern, fürchte ich. Stell dich auf die Straße, beweise deinen Widerstand. Besetze den Vorplatz der Europäischen Zentralbank (oder der Deutschen Filmakademie). Der „Feind” wird das vielleicht unsympathisch finden, aber er wird sich nicht gemeint fühlen. Schlimmer noch: er wird nichts unternehmen. Was ich damit sagen will: zum Kampf gehören zwei. Wenn man also Brasch vermisst, vermisst man womöglich auch FJS.

Natürlich fehlt dem deutschen Film Auseinandersetzung. Es wird viel gelästert, aber direkte Konfrontationen gibt es kaum. Die Fördergiesskanne, die sich immer in zwei Richtungen abzusichern versucht (filmwirtschaftlich UND filmkulturell) begünstigt die Stromlinie, sowohl im persönlichen Verhalten als auch im „Produkt”. Wer arbeiten will, hält den Mund.

Meine Erfahrung mit öffentlicher Kritik aber ist, dass man sich zwar durchaus selbst schaden kann - dafür gibt es eine Reihe von Beispielen - eine Debatte aber löst man deshalb noch lange nicht aus. Akte des „Widerstands” stehen heute schnell im Narzissmus-Verdacht. Stefan Arndt etwa hat unsere Kritik an der Privatisierung des Filmpreises damals so interpretiert. Er war der festen Überzeugung, dass hinter unser Ablehnung des Oscar-Modells der Wunsch nach Profilierung stand. Für die aus seiner Sicht gelungene Steigerung der Bekanntheit unserer Namen hatte er Respekt, das fand er „clever”, die Kritik selbst konnte er dagegen nicht ernst nehmen, denn das hätte für ihn geheissen, an der Reklame der Anderen mitzuwirken.

Bleibt die Hoffnung auf das Widerständige in der Form. Oder ist das automatisch der „Rückzug in die privatisierende Kunstproduktion”? Ich denke, nein. Aber in unserer Wirklichkeit, dessen bin ich mir bewusst, ist dieses „Nein” schwer zu fassen. Brüchig. Bedroht. Über dieses Nein müssen wir streiten. Das wäre ein Anfang.

Gut möglich, dass die Krise Europas, die übrigens ja auch eine kulturelle Krise ist, die Verteilungskämpfe hierzulande bald verschärft. (Re-) politisierung braucht immer jenes Quentchen „höhere Gewalt”, das die bestimmenden Gewohnheiten aufbrechen lässt. An der Sprache für dieses Morgen sollten wir heute feilen. Im Film wie im Leben.

Christoph

19 November, 2011

Gewonnen.



Gute Nachrichten: Nicolette Krebitz und ich sind gestern im saarländischen Neunkirchen mit dem 1. Günter-Rohrbach-Filmpreis ausgezeichnet worden - für UNTER DIR DIE STADT (Beste schauspielerische Leistung / Bester Film). Die schöne Doppel-Laudatio hielt Dominik Graf.

15 November, 2011

Geld und Kino

Im Schüren-Verlag ist ein Band zum Thema „Geld und Kino” erschienen, sozusagen die Papierversion der 37. Arnoldshainer Filmgespräche. Neben Texten von Ekkehard Knörer, Volker Pantenburg, Daniel Eschkötter, Winfried Pauleit u.a. findet sich auch ein lesenswerter Aufsatz von Cristina Nord zu UNTER DIR DIE STADT, den sie mit gemischten Gefühlen, aber gut informiert beschreibt.

Inhaltsverzeichnis und Vorwort (von den Herausgebern Margit Frölich und Rembert Hüser) kann man hier einsehen.

06 November, 2011

ADK

Am Samstag, den 19.11.2011 zeigt die Akademie der Künste (Hanseatenweg) unser DREILEBEN-Projekt noch einmal auf großer Leinwand, um 15 h ETWAS BESSERES ALS DEN TOD (Christian Petzold), um 17 h KOMM MIR NICHT NACH (Dominik Graf) und um 20 h meinen Film EINE MINUTE DUNKEL. Zwischen Film 2 und 3, um 19 h, gibt es ein Gespräch mit Christian Petzold und mir, das Knut Elstermann moderieren wird.



Meine Skizze, entstanden vor Festlegung auf einen konkreten Drehort, zur gemeinsamen Verständigung über die Eigenschaften des fiktiven Städtchens „Dreileben”.

03 November, 2011

La révolution numérique est terminée



Gestern ist die November-Ausgabe der Cahiers du Cinéma erschienen, die sich unter der Überschrift „Adieu 35” mit der Vollendung der digitalen Revolution beschäftigt. Ich habe auch einen Text beigesteuert, der aus den Posts Permanent Experiment und Vorschlag hervorgegangen ist (für Leser dieses Blogs also wenig Neues bietet) und über die Verflüssigung der Produktionsphasen nachdenkt.

28 Oktober, 2011

Double Feature (2)

IO SONO L'AMORE (Luca Guadagnino, Italien 2009)
Guadagnino sucht die Nähe werblicher Überwältigungsroutine, will die Opulenz für das Kino „retten” und momentweise gelingt das, vielleicht, weil die magnetische Monotonie von John Adams Musik die Sensationen der Dinge dämpft, zu blossen Beispielen der Vergeblichkeit macht. Aber nach und nach geraten die schönen Waren, Kleider und Schuhe, Frisuren und Schmuckstücke doch in den Verdacht, als Fetische zu dienen, zumal die Handlung nie wirklich Tritt findet in dieser visuellen Ermächtigungsfantasie. Die letzten dreißig Minuten habe ich als Demontage empfunden, in der sich die großen Versprechen als unhaltbar erweisen und der Plot ganz leer läuft, lächerlich wird. Tilda Swinton, die nichts falsch machen kann in den letzten Jahren, gibt hier einmal mehr das Alabasterwesen, ein Objekt kinematographischer Anbetung – als Charakter
jedoch wird sie nicht plastisch.



P.S.:
Zur Zeit arbeitet Guadagnino an einem Dokumentarfilm über Bernardo Bertolucci, ein passender Pate: auch wenn IO SONO L'AMORE an die visuelle Virtuosität eines IL CONFORMISTA nicht heranreicht, haben beide Filme doch den Virus Dekoration gemein, der sich in die lebenswichtigen Organe frisst und die Filme in Schönheit sterben lässt.

+

AQUELE QUERIDO MÊS DE AGOSTO (Miguel Gomes, Portugal 2008)
Gomes hat eine ganz entgegengesetzte Art, „alles” zu zeigen. Halb zog sie ihn, halb sank er hin: so könnte man das Verhältnis zwischen Dokumentar- und Spielfilm beschreiben, die Gomes als schelmischer Cuppido hier verkuppelt. Und es ist durchaus nicht die einzige Schnulze in seinem charmanten Film, der ganz wesentlich von portugiesischen Schmachtliedern zusammengehalten wird, dabei aber immer auch die Bedingungen seiner Entstehung thematisiert und sich so ganz „realistisch” seinen Produktionsbedingungen gegenüber erweist. In Revolver Heft 23 singt Gomes ein Loblied auf die Beschränkung: „Ich habe nie gejagt, aber wenn ich es täte, würde es mir keinen Spaß machen, mit (...) unbegrenzter Munition” [loszuziehen]. Das Ergebnis ist aber gerade nicht Armut, sondern Vielfalt, denn Gomes ist großzügig, Erzählen heisst für ihn teilen.

Nominiert

Kurz gemeldet: UNTER DIR DIE STADT wurde für den Günter-Rohrbach-Filmpreis nominiert. Die Verleihung findet am 18.11.2011 in Neunkirchen statt, Rohrbachs saarländischem Heimatort.

27 Oktober, 2011

Double Feature (1)

In loser Folge will ich hier double features vorschlagen, Filme kombinieren, die in meinen Augen zusammen Funken schlagen.

ATTENBERG (Athina Tsangari, Griechenland 2010)
Ein Film, der mit radikalem chic weibliches Begehren modernisiert. Kann man Lieben lernen? Kann man Eroberung von Besitz trennen? Nur, wenn man die Verhältnisse zum Tanzen bringt. Konsequenterweise bewegt sich Tsangaris Film zwischen Musical, Ministry of silly walks und einer L'AVVENTURA, in dem die Männer verschwinden. Auf wunderbare Weise anwesend dagegen die zwei Frauen im Mittelpunkt der Handlung, Evangelia Randou und Ariane Labed. Über Labed ist sehr zurecht ein Preisregen niedergegangen (u.a. hat sie in Venedig Coppa Volpi „Beste Schauspielerin” gewonnen), aber ohne Randou könnte sie nicht leuchten. Im Gespräch in Locarno hat Tsangari formalistische Leidenschaften gebeichtet und Besserung gelobt, aber was wäre die Welt ohne Dandys wie sie? Ich hoffe, sie bleibt ihren Sünden treu.

Apropos Sünde: Trotz Hauptpreis auf dem Frauenfilmfestival (der mit einer hohen Prämie für die Herausbringung verbunden ist) in Deutschland noch immer ohne Verleih.



+

PLAYGIRL (Will Tremper, Deutschland 1966)
Halb Spekulation, halb Emanzipation: Trempers Skript ist ein Amazonentraum, eine Männerfantasie der 60er, aber man muss ihm zugute halten, dass er seiner Darstellerin Freiheit gibt, die sie auch zu nutzen weiss. Sie verhält sich zur Empörung der Männer „männlich”, wenn es darum geht, die Initiative zu ergreifen - aber besitzergreifend ist sie nicht. Kann man seinem Begehren folgen, ohne Besitzen zu wollen? Eva Rienzi kann es, oder doch beinahe. Sehenswert auch als Dokument (der Fantasie?) eines mondänen Westberlins der 60er.


Bild via


Hier schreibt Michael Baute über den Film.

21 Oktober, 2011

4.11.2011



Mein Film UNTER DIR DIE STADT erscheint am 4. November 2011 auf DVD.

Als Bonus gibt es den Kurzfilm SÉANCE, eine „Single-Auskoppelung” aus dem Omnibusfilm DEUTSCHLAND '09. (Den auf der Verleihseite angekündigten Audiokommentar gibt es hingegen nicht.)

Am 25.10.2011 um 20 h soll ich in der Filmpalette Köln darüber sprechen, „ob DEUTSCHLAND '09 wirklich gescheitert ist” - wie ich gerade dem Programm entnehme. Seltsam.

04 Oktober, 2011

Übrigens:

DREILEBEN hat den Deutschen Fernsehpreis in der Kategorie „Besondere Leistung Fiktion” gewonnen.

Auf Mubi hat David Hudson englisch-sprachige Reaktionen anlässlich der TIFF (Toronto) und NYFF (New York)-Premieren von DREILEBEN zusammen getragen.

30 September, 2011

Nominierung

Stefan Stabenow ist für seine Arbeit an UNTER DIR DIE STADT für den Schnittpreis nominiert worden. Die Preise werden von der Jury am Abend des 28.11.2011 im Kölner Filmforum im Museum Ludwig feierlich verliehen. Ich drücke die Daumen, Stefan!

27 September, 2011

Möglichkeiten



„Jeder leidet nach seinen Möglichkeiten.”

Orson Welles inszeniert THE MAGNIFICENT AMBERSONS.

Mediensprech (3):

„Visionäre Keynotes, Master Classes für ein erfolgreiches cross- und transmediales Geschäft, Handelsplatz für Medienrechte und Koproduktionen, Trendschauen und exklusive Previews – das und vieles mehr bietet...”

Werbung für Frankfurt „StoryDrive”

15 September, 2011

Die Lücke

Der Hollywood-Mainstream bedient sich heute in der Regel eines Auflösungsstils, den man mit Bordwell intensified continuity style nennen könnte. Kein Bruch mit den klassischen Regeln, aber eine deutlich höhere Schnittfrequenz (im Vergleich zum Kino der 30er-60er), weniger totale, mehr mittlere und nahe Einstellungen und damit insgesamt mehr Kamera-Set-ups, meist innerhalb eines Coverage-Systems (Coverage = „Abdeckung” aller relevanten Perspektiven einer Szene in verschiedenen Einstellungsgrößen).

Die hohen Schnittraten im modernen Hollywood überzeugen mich selten, weil sie die Selbständigkeit der Akteure und Zuschauer beschneiden - und ich bin kein Freund von Coverage, weil die endlose Wiederholung der gleichen Handlungen Schauspiel und Kameraarbeit abstumpft. Eine Szene, die aus allen Richtungen und in allen Größen Sinn macht, gibt es nur in der Theorie; der Preis eines - im Schneideraum natürlich sehr bequemen - fraktalen Shotdesigns besteht in der Banalisierung der einzelnen Einheit.

Mein Ideal wäre im Gegenteil, einen unwiederholbaren Moment auf eine Weise zu fassen, die jede andere Perspektive überflüssig macht. Ich könnte jetzt fortfahren und ein Loblied auf den Erzähler singen, der Risiken eingeht, um einer Szene das Wesentliche abzuringen usw. aber das wäre nur die halbe Wahrheit, denn unsere Produktionsbedingungen erlauben weder intensified continuity style noch Coverage, von anderen Schauwerten ganz zu schweigen.

Ein Gutteil jener Ökonomie der Mittel, die oft gelobt und mindestens so oft geschmäht wird, ist also in Wirklichkeit einfach nur: Ökonomie. Oder doch die Folge davon. Denn das ist natürlich die Frage: Haben wir die Ästhetik der Armut zu lieben gelernt, weil es vernünftig ist, das Mögliche zu lieben?

Dreharbeiten für einen Spielfilm dauern in Deutschland üblicherweise 30-40 Tage, wenn man fürs Kino arbeitet. Die meisten Fernsehfilme müssen in 20 Tagen oder weniger im Kasten sein.*) Auch wenn das Ziel nicht im Anschluss an die Standards des Hollywood-Mainstreams besteht, bedeutet die knappe Drehzeit einen ständigen Kampf um das Gleichgewicht zwischen Inszenierungs- („Was passiert wie?”) und Kameraarbeit („Wie zeige ich es?”).

Zum Vergleich: Finchers THE SOCIAL NETWORK hatte laut Making-of 3 Wochen Probenzeit und 80 Drehtage, bei einem Budget von 47 Mio US-Dollar (ca. 32,6 Mio Euro). Und das ist ein vergleichsweise unaufwändiger Film. Im Gedächtnis bleibt er wegen einiger dichter Darstellermomente. Wir haben grob gesagt ein Drittel der Zeit, bei einem vergleichbaren Erzählpensum (auch wenn sich die Systeme nicht so ohne Weiteres vergleichen lassen, etwa wegen der Rolle der Gewerkschaften in den USA). Die Frage nach den Konsequenzen der geringeren Mittel stellt sich also mit einiger Dringlichkeit, auch natürlich, weil 90% des europäischen Publikums dem Hollywood-Film an der Kinokasse den Vorzug gibt.

Wenn wir konkurrieren wollen - künstlerisch, kommerziell, ideologisch - kann es nicht genügen, die Mittel der Amerikaner in kleinerem Maßstab nachzubauen. Dieser „Mittelweg” aber ist am Weitesten verbreitet. Im Wettlauf mit der Zeit versucht man möglichst viele Einstellungen zu schaffen, folgt in der Eile ganz konventionellen Auflösungsmustern und hofft, sie in der Montage wieder spezifisch zu machen. Im Schneideraum geht man dann am Gängelband symmetrischer Pflichten: Der Schuss, dem nach dem Gegenschuss verlangt, die Subjektive, die zurück zum Subjekt möchte usw. Für die Genauigkeit fehlt so die Zeit, aber zum Zuckerguss reicht es auch nicht. Klein Hollywood.

Mein Eindruck ist - und ich nehme meine Arbeit hier ausdrücklich nicht aus - dass die besseren deutschen Filme der letzten Jahre den Bedingungen zum Trotz visuell sehr ausgefeilt sind, während sie schauspielerisch und inszenatorisch (also sowohl im individuellen Spiel als auch im „choreografischen” Zusammenhang) Defizite haben. Mit Defiziten meine ich aber gerade nicht „Fehler”, sondern das wohltemperierte, zuverlässige Spiel, die souveräne Darbietung etablierter Gemeinplätze, wie sie in einem Produktionsalltag, der von den Bedürfnissen des Fernsehen bestimmt und rhythmisiert wird, die Regel sind (das ist kein Vorwurf an die Schauspieler).

Die zur Verfügung stehende Zeit reicht in der Regel nicht, um visuell und schauspielerisch auf höchstem Niveau zu arbeiten. Da größere Budgets **) vorerst nicht zur Verfügung stehen, müssen andere Stellschrauben bewegt werden. Die (realtiv) knappen Mittel zwingen zur Verletzung der Regeln mindestens dann, wenn das Ziel Intensität und Wahrheit des Ausdrucks ist. Aber wie könnte eine Radikalisierung aussehen, die ideologisch und arbeitspraktisch mit den Bedingungen unserer „volkseigenen” Filmwirtschaft in Deckung zu bringen ist?

Einen praktischen Vorschlag, wie man die Auflösung zugunsten eines „tieferen Schauspiels” vereinfachen könnte, habe ich kürzlich gemacht. Das ist aber natürlich nur ein kleiner Teilaspekt des Problems. Vielleicht müssten wir unser Verhältnis zum Bild und seiner Produktion viel grundsätzlicher überdenken, und zwar aus der Perspektive des Erzählmaterials.

Wenn ich darüber nachdenke, was mich im Kino am Meisten bewegt, was im Konzentrat der Erinnerung übrig bleibt, dann sind das, erstens, Momente der „Wahrheit” im Spiel, ungezähmte Augenblicke, die Einblick geben in einen Charakter. Zweitens die Erfahrungen, die ich mit dem Medium selbst mache: Das Kino als dialektische Maschine sozusagen, die mich mit in die Synthese nimmt. Drittens interessieren mich Geschichten.

Ich sehne mich nach einem Kino, das weniger Zeit und Kraft auf Dekoration und Routine verwendet ***) und sich auch nicht damit aufhält, „alles” anders zu machen („ein ganzer Film in einer Einstellung”).

Es geht darum, einem Gegenstand, der uns unerklärlich anzieht, zu seinem Recht zu verhelfen, und nicht darum, aus einem Stoff eine altmodische Jacke zu schneidern.

Ich bin auf der Suche nach einem Kino der Liebe, das sich wirklich für den Menschen interessiert. Ein Kino, das ohne auteuristischen Stolz von Moment zu Moment geht, „kunstlos”. Ein Kino auch, das seine filmischen Mittel nicht versteckt, sie so verwendet wie einen Zeigefinger, den man auf die Lippen legt (jetzt leise sein) oder auf die Wunde („Do ist mir we.”).

Ich wünschte, ich könnte Filme machen, die ganz direkt sind, mehr oder weniger nur aus Rohstoffen bestehen, ein konkretes Kino, weder „Avantgarde” noch „Kommerz”.

Die Lücke, die hier klafft, muss die praktische Arbeit schliessen.




*)
MILCHWALD: 32 Drehtage (87 Min), FALSCHER BEKENNER: 20 Drehtage (94 Min), UNTER DIR DIE STADT: 36 Drehtage (110 Min), EINE MINUTE DUNKEL: 24 Drehtage (90 Min).

**)
MILCHWALD: 1 Million Euro, FALSCHER BEKENNER: 100.000 Euro, UNTER DIR DIE STADT: 2,5 Millionen Euro, EINE MINUTE DUNKEL: 1,4 Millionen Euro. Gerundet. Ein höheres Budget bedeutet nicht automatisch mehr Zeit pro Minute Filmhandlung, weil diverse Faktoren (Gagen Schauspiel, Motivaufwand, Größe der Crew, Gagen Crew, Technikausstattung, Unterbringung, Transport, SFX usw. - und eben Filmlänge) je nach Projekt und Rahmen variieren. Die vergleichsweise niedrige Summe bei FALSCHER BEKENNER erklärt sich aus Lohnverzicht / Rückstellungsverträgen / Beistellungen etc.

Die Summen selbst sind natürlich kein Grund zur Klage. Die Schwierigkeit besteht darin, eine Form zu finden, die die eigene Sensibilität in Kontakt mit den Interessen des Publikums bringt und zugleich realistisch ist gegenüber den Produktionsbedingungen.

***)
Die immer gleichen Einstellungen von Menschen, die aus Autos steigen, ein Haus betreten, die immer gleichen Schuss-Gegenschuss-Muster, Figuren, die die Handlung resümieren, damit der Plot weiter voranschreiten kann usw usw

03 September, 2011

Prinzip Collage







Wenn der Film, als Material, das Medium der Transparenz war, (eine lichtgravierte Haut), dann ist das digitale Bild etwas viel Allgemeineres, nämlich Information - und damit nichts anderes als eine Zeile Code oder Text. Seltsam nur, dass die Ästhetik der Spezialeffekte, überhaupt das computergenerierte Bild, so nostalgisch daher kommt, historistisch sozusagen. Da werden vertraute fotochemische Artefakte imitiert, Nahtstellen peinlich genau retouchiert und mit Gittermodellen wird der Perspektive gehuldigt. Mir schiene es reizvoller, statt auf CGI-„Realismus” zu setzen das Prinzip Collage schamlos auszustellen.

Kürzlich habe ich Karel Zemans BARON PRÁSIL (CSSR, 1962) zum ersten Mal gesehen, ein wunderbarer Münchhausen-Film, der Zeichnungen und Stiche, Wolkenbecken und Viragierung, Realfilm und Trick auf charmante Art mischt, ohne aus seinen Mitteln je einen Hehl zu machen. In dieser Tradition Abenteuerfilme zu machen, Weltraummärchen, Heldensagen würde mir Spaß machen. (BARON PRÁSIL ist z.Z. auf Youtube zu finden, die deutsche DVD gibt es zum Beispiel hier).