28 November, 2007

Am Schreibtisch

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In der Drehbucharbeit kommt es oft zu Lösungen, die aus dem Material selbst zu kommen scheinen, folgerichtig. Später stellt man fest, dass der Einfall nicht viel mehr als ein Echo war, dass eben jener Akkord stimmig klang, den man schon einmal gehört hat. Oft genug folgt die Filmdramaturgie dem Prinzip Ohrwurm. Wir wollen sozusagen mitsingen.

Die geläufige Filmdramaturgie scheint mir – bei allen Unterschieden – den Eigenimpuls einer Figur , das „Unmotivierte”, systematisch zu unterdrücken. Charaktereruptionen sind allenfalls als Auslöser erlaubt, im Übrigen aber wird versucht, eine REAKTIVE Ordnung zu etablieren, ein dynamisches Ursache-Wirkungs-Schema, in dem die Figuren zwar „charakteristisch” reagieren (müssen), aber keine „eigenwilligen” Charaktere sein dürfen. Die Figuren werden so automatisch zu Stellvertretern, „durchschnittlich”, während das bloss Individuelle reduziert wird auf ein paar Spleens und Sprechweisen. Der Konflikt uniformiert das Personal...

Zugegeben, eine solche „soldatische Dramaturgie” ist manchmal befriedigend zu sehen, wenn sie „gut gemacht” ist .... aber mein Leben zum Beispiel besteht durchaus aus Eingebungen, plötzlichen Umschwüngen, Ideen und Geheimnissen.

Interessanterweise ist dem „Kunstkino” der Ideenheld noch fremder als dem Mainstream, obwohl doch immerfort davon die Rede ist, „character driven”, also von der Figur aus erzählen zu wollen. Aber wehe, eine Figur hat originelle Einfälle! Auch Witz und Mut gelten als „unrealistisch”, während man das bloss Reaktive: den Gierigen, den Feigen, den Süchtigen für traurig, aber wahr hält. Mechanischer Pessimismus!

Hinter der Durchfunktionalisierung einer Figur im „Dienst” einer Geschichte steht die Behauptung, wir seien weitgehend Produkt innerer und äusserer Zwänge, und je größer die äusseren Zwänge, desto sichtbarer würden die inneren. Als würde sich das „wahre Ich” gerade in der Folterkammer zeigen...

Überspitzt gesagt scheint die geläufige Filmdramaturgie nach einem Schloss zu suchen, in das nur ein bestimmter Schlüssel passt - das Schloss (die Handlung) enthält das Negativ des Schlüssels (der Charakter), und je enger Zahnung und Riegel ineinandergreifen, desto „besser” der Film.

Das erinnert mich an die Lüge vom Markt als einer Maschine, in der die Einzelegoismen zum maximalen Gemeinwohl verrechnet werden.

*

Ich sehe drei mögliche Antworten auf die Verengung durch totalitäre Dramaturgien:

Intuition (= sich selbst zum Material zu machen)

Recherche (= Forschung)

Gegenüber (= Aktivierung)

Ich benütze absichtlich nicht das Wort „Zuschauer”, weil es um mehr geht. Eine Erzählung kann sich nur entfalten, wenn sich das Gegenüber öffnet, seine Erfahrung einbringt. Filmemacher, die sich darauf nicht verlassen wollen, müssen scheitern.

Es geht also um Aktivierung – der lebendige Film ist einer, der gekapert wird von seinen Zuschauern. Das muss ein Schiff zu lassen. Und die Enterhaken müssen bereit liegen.

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