14 August, 2006

Schneideraum

Die quälende Bestandsaufnahme im Schneideraum entfernt mich wünschend von den postulierten Idealen. Sicher, eine schwebende Frage, ein echtes Riskio teilt sich mit, aber eben nur, wenn es im Akt des Sehens oder Bezeugens selbst liegt. Am Ende will man nur einen möglichst unterhaltsamen Film gemacht haben. Damit die Szene besser „läuft”, opfert man mit Freuden „heilige” Einfälle.

Der Schnitt ist eine Phase radikaler Kritik. Auch die Dreharbeiten kritisieren das Drehbuch, aber man hat doch eher das Gefühl der Defensive; es geht nicht alles, was man sich erträumt hat, und das empfindet man als Niederlage. Ganz anders im Schnitt. Hier hat der Betrachter ein robustes Selbstbewusstsein. Was „nicht funktioniert”, muss weg. So könnte man aus der Erfahrung des Schneidens einen kategorischen Imperativ entwickeln, der dem Billy Wilders ähnelt: Du sollst nicht langweilen. Oder biblisch: „Einen Baum, der keine Frucht trägt, schlage man ab...”

Aber es bleibt schwierig. Das „Funktionieren” sträubt sich gegen jede Vorhersage. Das Konventionelle bietet keinen Schutz. Das, was im Kino unterhält, sind oft archaische Reizmuster. Faszinierend, wie sich eine Szene durch drei Augenaufschläge vollständig verändert; wo sie zuvor nur auslief, federt sie jetzt, und der Blick springt leicht.

Kann man das wissen, während man inszeniert? In Echtzeit? Manchmal weiß man es. Wer die Körpersprache beherrscht, wird auch ein Publikum fesseln können. Der Gedanke liegt nahe, diese Essenzen zu isolieren, aber als bloße Tricks funktionieren sie eben nicht – glücklicherweise.

Eine „Erzählung” verlässt sich auf andere Dinge und die Versuche, “reines” Kino zu machen, gehen immer wieder ins Leere, buchstäblich. Die Verführung trägt eben schnell auf, wird banal und formlos, überreizt und pornografisch. „2046“ ist das beste Beispiel. Wir müssen also doch Ideen finden, die uns auf ihrem breiten Rücken tragen.

Womit hängt es zusammen, dass so viele Werke der hohen Kinematographie mit Angst verknüpft sind? Weil das Auge ein Kontroll- und Angstorgan ist? Dabei liegt der Horror im Ton, das Knacken der Knochen, der schwere Atem. Vielleicht ist der Grund ganz banal, biografisch. Die Künstler, die sich vom Machtapparat des Kinos angezogen fühlen, weisen psychotische Verwandtschaften auf.

Im Zug. Mein Nachbar liest in einem Buch, lernt. „Handbuch der Beschwerden”. Er arbeitet für eine Mobilfunkgesellschaft. „Geht es darum, dass sich möglichst wenig Leute beschweren?” Das Buch verneint: „Es geht darum, möglichst viele Kunden zufrieden zu stellen und möglichst viele der Unzufriedenen zu einer Beschwerde zu veranlassen.” Das spare nebenbei auch Entwicklungskosten und führe durch Fehlerkorrektur zu noch mehr Zufriedenen. Hallo Publikum.

Die Testvorführungen sind nichts sagend. Kann man überhaupt begreifen, was an einem Film langweilt? Nur dass man sich langweilt, lässt sich zweifelsfrei mitteilen. Aber die Gedanken sind frei. Überzeugungen kreuzen die Wahrnehmung, Wissen lenkt die Meinung, Urteile manipulieren die Erinnerung. Alles ist Kontext. Und die Gesetze des Redens produzieren Nebeninhalte. Was sich gut sagt, muss nicht das Wesentliche sein. Am Ende ist man mit seinem Urteil doch allein. Alles sein-wollen entlarvt sich. Der Film ist ein Spiegel. Hier stehe ich, und kann nicht anders.

(Geschrieben im Februar 2005, während der Postproduktion von FALSCHER BEKENNER)

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